Ein Jahr Ukraine-Krieg: Bilanz der Bundesstadt Bonn – Zahlen, Daten, Fakten

Drei Koffer stehen vor dem Zelt. Es sind die einzigen Habseligkeiten, die die junge Mutter und ihre Tochter mitnehmen konnten. Und der Hund des Mädchens ist mit dabei. Die drei sind gerade in Bonn angekommen. Fast zwei Tage waren sie mit dem Zug unterwegs – auf der Flucht vor dem Krieg in ihrer ukrainischen Heimat …

Es ist ein Schicksal von vielen. So wie die Mutter und ihre Tochter, die an einem Abend Anfang März 2022 in der provisorischen Erstanlaufstelle in der Bonner City eintreffen, haben seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 rund 4.900 Menschen in Bonn Schutz gesucht. Sie sind bei Familien, bei Freunden oder Verwandten, bei hilfsbereiten Bonner*innen oder in städtischen Unterkünften untergekommen. Ein Jahr nach Kriegsbeginn leben circa 3.800 Menschen aus der Ukraine in Bonn. 1.700 von ihnen hat die Stadtverwaltung untergebracht.

Dank der Oberbürgermeisterin an die Stadtgesellschaft
„Unser Mitgefühl gilt nach wie vor den Menschen in der Ukraine. Der russische Angriffskrieg hat Tod, Verwüstung und Leid nach Europa gebracht, seine Folgen sind weltweit spürbar“, sagt Bonns Oberbürgermeisterin Katja Dörner. Sie ist zugleich stolz auf die Solidarität in Bonn. „Die Bürger*innen zeigen erneut ihre großartige Hilfsbereitschaft, damit es den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, möglichst gut geht. Diese Herausforderung hat die Stadtgesellschaft von Beginn an angenommen und sehr gut gemeistert“, so die Oberbürgermeisterin weiter: „Die Geflüchteten erhalten Unterkunft. Sie werden versorgt und betreut, Kinder und Jugendliche werden in Kindertagesstätten und Schulen aufgenommen. Integrationseinrichtungen, Vereine, Kirchengemeinden und zahlreiche ehrenamtlich Engagierte setzen sich gemeinsam mit der Stadtverwaltung für die Geflüchteten ein. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank!“

Unterbringung
Nach dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine muss die Bonner Stadtverwaltung in Windeseile improvisieren, um die Geflüchteten aufnehmen zu können. In den ersten 14 Tagen kümmert sich die Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt (Wache GABI) um rund 460 Geflüchtete, die am Bahnhof ankommen, und bringt sie in verschiedene Unterkünfte. Anfang März wird an der Budapester Straße mit einem Container und Zelten eine erste Anlaufstelle mit Deutschem Roten Kreuz, unterstützt durch den Stadtordnungsdienst, eingerichtet. Da ad hoc nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung stehen, mietet die Stadtverwaltung Zimmer in Hotels an und richtet für einige Wochen fünf Turnhallen zur Unterbringung her.

Die Menschen aus der Ukraine kommen ungesteuert und ohne Zuweisung durch die dafür zuständige Bezirksregierung Arnsberg aufgrund des gewährten Aufenthaltsstatus und der damit verbundenen Freizügigkeit im Bundesgebiet. Bereits Ende März, also einen Monat nach Kriegsbeginn, suchen mehr als 2.100 Menschen aus der Ukraine in Bonn Zuflucht.

Die fieberhafte Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten ist schnell erfolgreich, auch dank der Unterstützung von Immobilienbesitzer*innen. In der Mallwitzstraße in Lannesdorf und in der Siebengebirgsstraße in Roleber können im Frühjahr größere Unterkünfte eröffnet werden, ein Bürogebäude an der Ernst-Robert-Curtius-Straße in Buschdorf dient seit 1. April 2022 als Erstanlaufstelle nach der Ankunft der Hilfesuchenden. Und während sich die Zahl der Geflüchteten bereits Ende Mai auf 4.000 erhöht, was dazu führt, dass Bonn eine Zeitlang keine Personen mehr aufnimmt, geht im Sommer mit der Wielandstraße in Rüngsdorf die dritte große Unterkunft an den Start.

In den großen Einrichtungen sowie in der Erstanlaufstelle setzt das Amt für Soziales und Wohnen auf die bewährte Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz. Die Hilfsorganisation, die bereits in den Jahren 2015/2016 bei der Aufnahme und Betreuung Geflüchteter tatkräftig unterstützt hatte, betreibt im Auftrag der Stadt die Einrichtungen.

Ein Glücksfall ist auch, dass das Amt für Soziales und Wohnen fast 700 Menschen in private Unterkünfte vermitteln kann beziehungsweise hilfsbereite Bürger*innen Personen aus der Ukraine unmittelbar privat aufnehmen.

Im Laufe des Jahres 2022 gelingt es der Stadtverwaltung in einem weiteren Kraftakt, eine Vielzahl weiterer Wohnungen und kleinerer Unterkünfte zu akquirieren. Dadurch können die Turnhallen nach einigen Wochen wieder freigegeben und die angemieteten Hotelzimmer größtenteils wieder freigezogen werden. Um dann auch auf eine mögliche größere Zahl von Geflüchteten sowie auf Unterbringungsbedarfe Wohnungsloser während der Wintermonate vorbereitet zu sein, bereitet die Stadt kurz vor Weihnachten 2022 an der Maarstraße in Beuel zusätzliche Aufnahmekapazitäten vor.

Insgesamt hat das Städt. Gebäudemanagement bis jetzt 290 Mietangebote geprüft und 84 Mietverträge (vom Apartment über Ein-/Mehrfamilienhäuser bis hin zu Bürogebäuden) abgeschlossen. Aktuell werden zwei Containeranlagen an den Standorten „Am Herz-Jesu-Kloster“ in Pützchen/Bechlinghoven und „In der Raste“ in Dottendorf geplant.

Die Unterbringung der Geflüchteten wird im Jahr 2023 eine wichtige Aufgabe bleiben, da die großen Unterkünfte nur befristet zur Verfügung stehen.

Behördengänge und Unterstützung
Die 4.900 Menschen werden im Dienstleistungszentrum der städtischen Bürgerdienste offiziell angemeldet (rund 1.100 von ihnen haben Bonn zwischenzeitlich wieder verlassen). Die Ausländerbehörde hat bisher rund 4.800 Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhalten. Da rund 900 Antragstellende Bonn mittlerweile wieder verlassen haben, haben 3.900 Menschen eine Aufenthaltserlaubnis oder zumindest eine Fiktionsbescheinigung zum vorübergehenden Schutz infolge des russischen Angriffskriegs bekommen. Die Aufenthaltserlaubnis bzw. die Fiktionsbescheinigung beinhaltet den Passus, dass jede Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Wie viele Menschen tatsächlich zwischenzeitlich eine Arbeit aufgenommen haben, ist der Stadtverwaltung nicht bekannt, da die konkrete Beschäftigung nicht genehmigt werden muss.

Das Amt für Integration und Vielfalt beginnt zeitig mit einer Reihe von Online-Veranstaltungen, um die Organisationen der Flüchtlings- und Migrationsarbeit zu informieren – und damit auch die zahlreichen Haupt- und Ehrenamtlichen, die als Wegweiser, Lotsen, Unterstützer*innen dringend gebraucht werden oder als Organisationen konkrete Angebote übernehmen können, mit Hilfen verschiedenster Art und zu Fragen aus allen Lebensbereichen. Auch das Vorgehen der Stadtverwaltung wird immer wieder intensiv kommuniziert, damit alle möglichst gut informiert sind.

Die Hotline Flüchtlingshilfe wird reaktiviert, und der Bedarf nach Vermittlung von Sprachmittlerinnen nimmt in kurzer Zeit enorm zu. Zugleich steigt auch die Zahl der Ehrenamtlichen deutlich: Manche Personen waren schon ab dem Jahr 2015 dabei, andere engagieren sich neu und wollen mithelfen. Ukrainische Bonnerinnen kommen hinzu, erste neue Netzwerke und Vereine werden aktiv. Die Informationsmails des Amtes sind stark gefragt, denn dort und im Portal sind viele jetzt wichtige Informationen zu finden, und Fragen und Bedarfe gibt es viele.

Zahlreiche Akteur*innen kümmern sich intensiv um die Geflüchteten in den Gemeinschaftsunterkünften, besorgen Dinge, die fehlen, aber dringend gebraucht werden, bieten Essen an, helfen bei der Orientierung, kümmern sich um Sorgen und Nöte. Und wieder andere bringen Hilfsgüter in die Ukraine.

Kinder, Jugend und Familien
Das Familienbüro steht als Anlaufstelle für alle Familien in Bonn zur Verfügung, so dass es auch selbstverständlich ist, sich als Anlaufstelle für Betreuungsfragen für die geflüchteten Familien aus der Ukraine zu sehen. Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse der Kinder nach Kriegs- und Fluchterfahrungen im Blick zu halten und unnötige Beziehungsabbrüche durch wechselnde Betreuungen zu vermeiden.

Das Familienbüro, der Fachdienst für Familien- und Erziehungshilfe, die Jugendförderung und die Internationale Begegnungsstätte organisieren Brückenprojekte vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften, Förderungen der ukrainischen Vorschulkinder, Sprachkurse und Freizeitangebote für ukrainische Kinder, niederschwellige psychologische Betreuungsangebote und weitere Angebote.

Seit März 2022 sind im Grundschulbereich rund 460 neu zugewanderte Schüler*innen zusätzlich an Bonner Schulen zugewiesen und aufgenommen worden, rund 720 in der Sekundarstufe I und etwa 160 in der Sekundarstufe II. Zuweisung und Verteilung erfolgt durch die Bezirksregierung Köln. Der Großteil sind Kinder und Jugendliche aus der Ukraine.

Während an den Bonner Grundschulen die Kinder in die Klassen integriert sind, werden die neuen Schüler*innen in der Sekundarstufe I in eigenen Klassen unterrichtet. Für sie wurden an 22 weiterführenden Bonner Schulen aller Schulformen insgesamt 46 Internationale Vorbereitungsklassen eingerichtet. Und für die Sekundarstufe II gibt es an den vier Bonner Berufskollegs 17 so genannte Internationale Förderklassen.

Der zu Beginn befürchtete starke Druck auf Kita-Plätze, ähnlich wie im Schulbereich, ist ausgeblieben. Nach Kenntnis des Jugendamtes sind zwischen Frühjahr 2022 und Ende Juli 2022 55 Betreuungsverträge in Kindertagespflege und Kindertagesstätten mit ukrainischen Kindern abgeschlossen worden, seit dem Beginn des neuen Kindergartenjahres am 1. August 2022 weitere 35 Neuverträge.

Ausblick
Auch Carolin Krause, Dezernentin für Schule, Soziales und Jugend, dankt für die große Solidarität und die vielfältige Unterstützung auf allen Ebenen. „So viele Menschen haben die Geflüchteten, insbesondere die Kinder und Jugendlichen, in Bonn mit offenen Armen empfangen und aufgenommen. Sie haben dies in einer lobenswerten Willkommenskultur getan und den Hilfesuchenden großartige Unterstützung zuteilwerden lassen.“

Auch wenn die Stadt Bonn aktuell ihre Aufnahmequote für Geflüchtete mit 121,59 Prozent übererfüllt und ihr daher zurzeit keine Geflüchteten zugewiesen werden, bleibt die Situation weiter sehr angespannt, da nicht zuletzt sämtliche Betreuungsinfrastruktur sehr belastet ist. Es wird nicht einfach, alle Menschen, die in Bonn bleiben möchten, mit aller erforderlicher Infrastruktur zu versorgen und schließlich vor allem zu integrieren.

Solidaritätspartnerschaft mit Cherson
Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, hat der Rat der Stadt Bonn in seiner Sitzung Anfang Februar 2023 einstimmig die Gründung einer Solidaritätspartnerschaft mit der Stadt Cherson beschlossen. Mit dieser Entscheidung hat der Rat einer Bitte der Stadtverwaltung von Cherson entsprochen, die sich hilfesuchend an die Stadt Bonn gewandt hat. „Wir sind nun dabei, ein Netzwerk von Unterstützerinnen aufzubauen, und ich hoffe sehr, dass viele Bürgerinnen diese Solidaritätspartnerschaft mit unterstützen werden“, sagt Oberbürgermeisterin Dörner. Im Mittelpunkt werden die humanitäre Unterstützung der Menschen von Cherson und die Hilfe beim Wiederaufbau kommunaler Verwaltungsstrukturen stehen.

Solidaritätskundgebung zum Jahrestag
Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine findet am Freitag, 24. Februar 2023, um 18 Uhr eine Solidaritätsveranstaltung mit einer Schweigeminute auf dem Markt vor dem Alten Rathaus statt. Neben einem Grußwort von Oberbürgermeisterin Katja Dörner wird Vizekonsul Maksym Onischenko vom ukrainischen Generalkonsulat in Düsseldorf sprechen. Weitere Grußworte kommen u.a. von Europa- bzw. Bundestagsabgeordneten, der Ukraine-Hilfe Bonn, von Ukraine Bonn informiert und der Universität Bonn, musikalische Beiträge vom Trio Ukraina und vom ukrainischen Kinderchor. „Ich danke allen Parteien und Initiativen, die zu dieser Kundgebung aufgerufen haben und sich daran beteiligen“, so Bonns Oberbürgermeisterin abschließend.

Zahlen, Daten, Fakten

  • Regelmäßiger verwaltungsinterner Jour fixe „Geflüchtete“ unter Leitung von Sozialdezernentin Carolin Krause.
  • Ständige Mitglieder des Jour fixe: Amt für Soziales und Wohnen, Amt für Kinder, Jugend und Familie, Schulamt, Städtisches Gebäudemanagement, Ausländerbehörde, Amt für Integration und Vielfalt, Planungs- und Baudezernat, Gesundheitsamt, Personalrat, Presseamt.
  • Bisher in Bonn angemeldete Personen aus der Ukraine: 4.953, davon wieder verzogen 1.106 (Stand: 16. Februar 2023).
  • 3.864 Geflüchtete in Bonn haben eine Aufenthaltserlaubnis oder zumindest Fiktionsbescheinigung zum vorübergehenden Schutz infolge des russischen Angriffskriegs bekommen (Stand: 10. Februar 2023).
  • Seitens der Stadt untergebrachte Personen aus der Ukraine: 1.704 inklusive der privat vermittelten Personen (Stand: 13. Februar 2023).
  • Die größten Gemeinschaftsunterkünfte: Siebengebirgsstraße 200 (bis zu 400 Plätze), Mallwitzstraße 2 (bis zu 120 Plätze), Wielandstraße (bis zu 400 Plätze).
  • Erstanlaufstelle in der Ernst-Robert-Curtius-Straße 12.
  • Mit dem Betrieb der drei großen Gemeinschaftsunterkünfte sowie der Erstanlaufstelle hat die Stadtverwaltung das Deutsche Rote Kreuz beauftragt.
  • Entsprechend einer vorläufigen Berechnung sind für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung der Geflüchteten bislang Aufwendungen in Höhe von knapp 23 Millionen Euro entstanden. Abzüglich der Bundes- und Landeszuschüsse trägt die Stadt Bonn Kosten in Höhe von rund 870.000 Euro.

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